Ich dachte ich sehe nicht richtig, als ich die neuste Ausgabe von "mobil" aufgeschlagen habe. Das ist das Magazin, dass in vielen InterCitys und Regionalexpressen zur Lektüre ausliegt. Eine mehrseitige Reportage über "die Königin der Instrumente" mit Stimmen von Orgelbaumeister Klais und dem Kölner Domorganisten Bönig.
Mein Interesse war schnell geweckt, ich hatte zwar nur acht Minuten Zeit in der Bahn, aber das wollte ich doch schaffen, wenngleich ich nach Lesen des Kurzteasers eigentlich schon wieder aufhören wollte. Dort stand: "Was hat die kleine bayerische Dorfkirche mit dem gigantischen Konzertsaal in Beijing gemeinsam? Die Orgel." Wow, knallhart recherchiert, liebe Deutsche Bahn.
Der Artikel selbst beginnt mit: "Es dröhnt und wabert, es grollt, brüllt, pfeift und piept. Dazu dieses Gefühl, als würde durchs Ohr direkt auf den Bauch gezielt, der ganze Körper von tausend Klängen gleichzeitig erfasst, eingehüllt und durchgerüttelt - in dieser Intensität schafft das nur ein Instrument: die Orgel."
Nach einigen missglückten Vergleichen zwischen Dorforganisten und Orchesterdirigenten geht es um die "erstaunliche Zahl von Fans" des "sperrigen, uralten, des Dinosauriers von einem Instrument." Das Breittreten von Klischees gehört natürlich auch noch dazu. Die Orgel, die "reserviert ist für die besonderen Momente, die uns festlich und feierlich stimmen, wie Taufen, Hochzeiten oder Beisetzungen."
Und dann kommt schon Prof. Winfried Bönig ins Spiel, seines Zeichens Kölner Domorganist mit einem, wie ich finde, bemerkenswerten Zitat: "Der Gottesdienst, speziell der katholische, ist ein geistliches Schauspiel. Dazu gehört natürlich, gerade an Feiertagen, eine festliche Inszenierung, möglichst großer Pomp. Als Organist ist man ein Teil dieser Dramaturgie - und ich finde es auch schön, etwas dazu beizutragen." Ein Organist als Dramaturge eines Schauspiels. Alle Achtung...
Es folgt ein Reportageteil über ein vermutlich fiktives Mittagsgebet im Kölner Dom, bei dem angeblich ein Chor singt und sich die Sonne in "den zehntausend flirrend bunten Pixel des Gerhard-Richter-Fensters" glüht. Danach wird noch eine Studentin der Kirchenmusik, die großer Bach-Fan ist vorgestellt, ehe es schließlich um die Orgelbaufirma Klais geht.
Als guter Schluss heißt es schließlich: "Apropos: Sowohl Philipp Klais als auch Winfried Bönig sind überzeugt, dass Orgeln in jedem Land eine eigene Sprache sprechen. Klingt aufregend, aber kann das sein?" Mit ein paar Beispielen wird dann über diese Frage beratschlagt, ehe dem Domorganist das Finale gebührt: "Ich hab in Zaragoza auf einer Klais-Orgel gespielt - die klingt spanisch. Die haben tatsächlich versucht, diesen Charakter miteinzubauen. Und es ist ihnen gelungen."
Was bleibt mir hängen von dem Artikel? Durchaus lesenswert gegenüber der Menge Nonsens, die sonst in "mobil" zu finden ist. Zunächst etwas müde und klischeelastig, dann ganz locker zu lesen, natürlich auf einem der breiten Masse zugänglichen Niveau und am Ende dann doch ein bisschen promotionmäßig für die Firma Klais.
Genug über Orgel gelesen und geschrieben. Hören muss man sie. Was liegt da näher als Prof. Bönig. Hier mit dem imposanten, aber leider doch zu oft gehörten Gigout.
Der Gedanke mit dem Schauspiel und der Dramaturgie halte ich nicht für falsch, zumal ich mein eigenes Spiel - unter anderem - auch in diese Richtung praktiziere. Gefährlich wird es meines Ermessens erst, wenn sich der Organist auf diesen Aspekt reduziert - genauer: wenn das Spiel auf der Orgel darin bereits seinen höchsten Sinn finden soll. Vielleicht schreib ich da mal was auf meiner Seite dazu ...
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